Zur Ader!

Neue Blicke auf eine alte Praxis

Ausstellung in den historischen Museumsräumen des Palais Morass (Erdgeschoss)

Aderlass im übertragenen Sinn: Heerführer Ernst von Mansfeld schröpft die Städte der Protestantischen Union, Detail eines Flugblattes von 1622, Kurpfälzisches Museum Heidelberg
Aderlass im übertragenen Sinn: Heerführer Ernst von Mansfeld schröpft die Städte der Protestantischen Union, Detail eines Flugblattes von 1622, Kurpfälzisches Museum Heidelberg

Ausstellungseröffnung am Mittwoch, 20. November, 19 Uhr, im Kurpfälzischen Museum (Teilnahme ohne Anmeldung), Programm als PDF (946 KB)

Viele verknüpfen den Begriff Aderlass trotz seiner jahrtausendealten Geschichte mit dem Mittelalter, andere erleben ihn als hilfreiche und schulmedizinisch anerkannte Therapie. Das sogenannte ausleitende Verfahren ist Teil der Komplementärmedizin, Gegenstand universitärer Forschung und als Spende der Weg zu lebensrettenden Blutprodukten.
Was vom Aderlass – oder moderner: der Abnahme einer größerer Menge Blut – zu halten ist, haben sich Wissenschaftlerinnen der Universität Heidelberg genauer angeschaut. Auf ihren Ergebnissen baut die Ausstellung auf. Sie spürt der Geschichte dieser jahrtausendealten medizinischen Praxis nach, ihrer Anwendung und Wirksamkeit. Dabei nimmt die Schau auch die biologischen, kulturgeschichtlichen und wirtschaftlichen Dimensionen des Blutes in den Blick, das beim Aderlass unseren Körper verlässt. Die Ausstellung ist eine Kooperation von der Universität Heidelberg und dem Kurpfälzischen Museum Heidelberg.

Blutkonserven befanden sich zunächst in Flaschen, © DRK-Blutspendedienst Baden-Württemberg – Hessen
Blutkonserven befanden sich zunächst in Flaschen, © DRK-Blutspendedienst Baden-Württemberg – Hessen

Rot wie Blut
Seit jeher entfaltet Blut eine starke symbolische Kraft: als Saft des Lebens oder Sitz der Seele, als Grundlage familiärer Zusammengehörigkeit oder um einen Freundschaftsbund zu besiegeln. Die Ausstellung veranschaulicht, dass Konzepte wie diese bis heute unsere alltägliche Sprach- und Vorstellungswelt prägen und so auch die Wahrnehmung des Aderlasses beeinflussen.
Dieser Themenbereich führt in die mit bloßem Auge unsichtbare und von zahlreichen Mythen geprägte Welt des Blutes und beantwortet Fragen wie diese: Woraus besteht die lebenswichtige Flüssigkeit, deren Verlust den Körper schwächen, sogar töten, aber auch gesund erhalten und heilen kann? Wie bewegt sich das Blut durch den Körper, welche Aufgaben erfüllt es dabei und woher rührt seine Farbe? Eine interaktive Installation gibt Auskunft darüber, wie viel Blut durch den menschlichen Körper fließt und welche Mengen durch medizinische oder natürliche Vorgänge verloren gehen.
Infografiken zu Blutspende und Blutprodukten veranschaulichen, dass unser flüssiges Organ ein wertvoller Rohstoff ist, der seit rund 100 Jahren gezielt gesammelt und inzwischen auch als Wirtschaftsgut vermarktet wird.

Aderlassgeschichte(n)
Schröpfgläser aus der Antike erzählen von einer der ältesten Heilmethoden, ein Schröpfset im Weidenkorb aus dem frühen 19. Jahrhundert vom Beruf des Baders, während ein farbiger Gummiball die heutige Praxis des Blutspendens dokumentiert. Ein besonderes Ausstellungsstück ist eine wertvolle Reiseapotheke aus dem 17. Jahrhundert, die auch mit Aderlassgerätschaften ausgestattet ist.  Gemeinsam mit vielen weiteren Objekten veranschaulichen sie die facettenreiche Geschichte und Gegenwart der Blutentnahme.
Das Publikum lernt den großen vom kleinen Aderlass zu unterscheiden, stößt auf Gerätschaften für den Einsatz bei Mensch oder Tier und entdeckt anhand von Fliete, Aderlass-Schnäpper und Kanüle die technische Weiterentwicklung der verwendeten Instrumente. Jedes Exponat wirft ein kleines Schlaglicht auf die noch unvollständig erforschte, aber durch eine Vielzahl materieller Zeugnisse belegte Geschichte des Aderlasses.

Kostbare Reiseapotheke, um 1640, mit silberner Aderlass-Schale im Deckel, um 1640, © Dt. Apotheken Museum-Stiftung, Heidelberg. Foto: Claudia Schäfer
Kostbare Reiseapotheke, um 1640, mit silberner Aderlass-Schale im Deckel, um 1640, © Dt. Apotheken Museum-Stiftung, Heidelberg. Foto: Claudia Schäfer

Drei Fachrichtungen, ein Interesse: Wie wirkt der Aderlass?
Aktuell empfiehlt die Schulmedizin den Aderlass zur Behandlung einer Handvoll Erkrankungen, etwa bei Polyzythämie oder Hämochromatose. Doch hat sich sein therapeutisches Potenzial damit bereits erschöpft? Wie erleben Patient*innen heute die Aderlass-Therapie? Kann regelmäßiges Blutspenden auch die eigene Gesundheit fördern? Wie verliefen Aderlass-Behandlungen im 19. Jahrhundert und welche Debatten wurden um seine Wirksamkeit geführt? Diese Fragen standen im Zentrum eines interdisziplinären Forschungsprojekts der Universität Heidelberg. Drei Wissenschaftlerinnen näherten sich dem Aderlass aus unterschiedlichen Richtungen und mit den ihrem Fach eigenen Methoden. Dieser Themenraum bietet mit spannenden Ausstellungsstücken, Film- und Hörstation Einblicke in das Forschungsprojekt. Auch eigene Erfahrungen mit dem Aderlass können hier eingebracht werden.  

Information zum Ausstellungsbesuch

Öffnungszeiten Dienstag bis Sonntag jeweils 10 bis 18 Uhr
Sonderschließtage: 24., 25. und 31. Dezember sowie 1. Januar und 4. März
Eintritt Der Ausstellungsbesuch ist im Museumseintritt enthalten: wochentags 3 Euro/ 1,80 ermäßigt; am Wochenende und Feiertagen 1,80 Euro/ 1,20 ermäßigt (inkl. Dauerausstellung)
freier Eintritt Kinder und Jugendliche bis 16 Jahre
Inhaber des Museumspasses, Mitglieder der ICOM
Mitglieder des Freundeskreises des Kurpfälzischen Museums
Sprache Ausstellungstexte in Deutsch
Kontakt Telefon 06221 58-34010 von Montag bis Donnerstag: 09.00–15.00 Uhr, Freitag: 09.00–13.00 Uhr
E-Mail: kurpfaelzischesmuseum@heidelberg.de
Barrierefreiheit Zugang zu den Ausstellungsräumen im Erdgeschoss über zwei Stufen, Rampe vorhanden, ebenso großräumige Toilette. Weitere Hinweise zur Zugänglichkeit des Museums für Menschen mit unterschiedlichen Einschränkungen gibt es hier www.heidelberg.huerdenlos.de.

Impressum

Das Forschungsprojekt
Die Ausstellung basiert auf einem interdisziplinären Forschungsprojekt, das 2020/21 am Marsilius-Kolleg der Universität Heidelberg zum Thema “Wirksamkeit oder Evidenz in der Medizin. Legitimationen des Aderlasses vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart” durchgeführt wurde.
Beteiligte Wissenschaftlerinnen:
Prof. Dr. phil. nat. Martina Muckenthaler, Professorin für Molekulare Medizin am Universitätsklinikum Heidelberg
Prof. Dr. phil. Karen Nolte, Direktorin des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin der Universität Heidelberg
Prof. Dr. phil. Katja Patzel-Mattern, Professorin für Wirtschafts- und Sozialgeschichte am Historischen Seminar der Universität Heidelberg

Ausstellungskuratorin
Dr. Kirsten Weining, Berlin
 
Ausstellungsgestaltung
Matthies Weber & Schnegg mit Thomas Doetsch, Berlin

Koordination und Realisierung im Kurpfälzischen Museum
Prof. Dr. Frieder Hepp, Direktor
Restaurierungsteam: Yvonne Stoldt, Heidrun Narbeshuber, Jochen Koch